Wieder am Ende der Welt! Du meinst, das stimmt nicht, weil du einen Weg siehst? – Du weißt nicht, was er von dir erwartet, noch wohin er dich führt – aber benutze ihn ruhig, du hast die Wahl. Vergiß nicht: die Erde ist rund. Irgendwann stehst du wieder hier oder an einer ähnlichen Stelle…

Acryl auf Leinwand, 70×50, 105. Bild aus dem Internet

1719 erschien ein Buch von Daniel Defoe, das nachfolgende Generationen nicht nur als Leser begeisterte, sondern auch zahlreiche Denker zum Nachdenken anregte. Es handelt von einem schiffbrüchigen Seefahrer, der 28 Jahre auf einer einsamen Insel ausharren musste: Robinson Crusoe. Natürlich hat Robinson seine Insel gleich zu Beginn erforscht: er wollte wissen, wo er gelandet war, ob es überhaupt eine Insel war und womit er es zu tun hatte. Diese Fragen beantworteten sich, als er bei seinen Wanderungen schließlich auf seine eigenen Fußabdrücke traf und somit sicher sein konnte, dass er die zur Verfügung stehende Fläche endgültig abgelaufen war. Was ging ihm da wohl durch den Kopf? Das ist mein Fußabdruck, damit habe ich meine Welt verändert? Wie groß muss meine Welt sein, um in ihr (über)leben zu können? Wie muss ich mich verhalten, um nicht überall Fußabdrücke zu hinterlassen? – Robinson hat jedenfalls schnell erkannt, dass seine Welt endlich ist und er gut daran tut, dies zu beherzigen.

300 Jahre später wollten Mathis Wackernagel und William Rees die Beziehungen des Menschen zu seiner Umwelt genauer darstellen und vermitteln. Sie erkundeten und kartografierten die biologisch produktive Fläche, die auf der Erde vorhanden sein muss, um einen bestimmten Lebensstandard zu ermöglichen. Diese Fläche wird nicht in ha (Hektar, 100m²) angegeben, sondern in gha (globale Hektar), weil die Fruchtbarkeit der weltweit zur Verfügung stehenden Fläche höchst unterschiedlich ist. Die Einheit gha berücksichtigt eine weltweit durchschnittliche biologische Produktivität. Die Fläche, die ein einzelner Mensch für sich auf unserem gemeinsamen Planeten beanspruchen muss, um auf ihm – gewißermaßen spurenlos, also neutral – zu verweilen, bezeichnet man als seinen persönlichen ökologischen Fußabdruck. Derzeit liegt der weltweit rein rechnerisch ermittelte durchschnittliche persönliche Fußabdruck bei 1,6 gha. Robinson war da bestimmt um einiges genügsamer. Die beiden Wissenschaftler haben einen umfangreichen Atlas erstellt, der die weltweit höchst unterschiedlich großen ökologischen Fußabdrücke kartografiert und in hübschen Bildern illustriert. Darin kann man auch sofort die gute Nachricht ablesen: es gibt tatsächlich noch Regionen auf dieser Welt, die die benötigten ökologischen Fußabdrücke ihrer Bewohner bereitstellen können; allerdings muss man sie suchen. Und man sieht natürlich bestätigt, was man eh schon wusste: arme Menschen – kleiner Abdruck, reiche Menschen – großer Abdruck. Und natürlich: die Amerikaner haben den größten. Aber was kümmern uns die anderen? Wie steht es um uns, wir sind schließlich die Musterschüler Europas? Der durchschnittliche ökologische Fußabdruck jedes Einwohners in Deutschland beträgt 5,0 gha/Person und ist damit um den Faktor 3 gegenüber dem Durchschnitt zu hoch. Die Biokapazität Deutschlands beträgt zudem lediglich 1,7 gha/Person. Deutschland kann deshalb nur 33 Mio Einwohner auf Dauer schadlos halten – die übrigen 50 Mio Einwohner fristen ihr Dasein ohne ökologische Rechtfertigung. Diese so offensichtliche ökologische Schieflage will aber keiner so richtig wahrhaben, weil die Division der vorhandenen Kapazität durch die je Person genutzter zwar die Anzahl der maximal vertretbaren Personen ergibt, das ganze aber eher ein Spielchen der Mathematiker und Statistiker ist. Überhaupt ist die Sache viel zu konkret, um sie ernst nehmen zu können. Da ist es schon ansprechender, man bilanziert Treibhausgase. Erstens sieht man sie nicht, zweitens befinden sie sich irgendwo in der Luft und davon gibt es unendlich mehr als von simplen Flächen, die man sich teilen muss. Also hat man für die Beurteilung von Nachhaltigkeit den CO2-Fußabdruck eingeführt. Dieser stellt den Gesamtbetrag von CO2-Emissionen dar, der direkt und indirekt durch (menschliche) Aktivitäten verursacht wird oder während der Lebensstadien eines von ihm genutzten Produktes entsteht. Das wiederum ist so herrlich abstrakt, dass jede Zahl als Ergebnis für irgendetwas akzeptiert werden kann. Leider ergibt der CO2-Fußabdruck jedoch rein quantitativ dasselbe Ergebnis wie der ökologische Fußabdruck: Die Einwohner Deutschlands überfordern ihr Land um den Faktor 3 gegenüber dem Weltdurchschnitt. Andere Rechnung, gleiches Ergebnis.

Ist das jetzt eine neue, gewssermaßen moderne Erkenntnis? Durchaus nicht. 31. Januar 1974, 19:35. Ich bin 16 Jahre und sitze gebannt wie viele andere Deutschen vor dem Fernseher – damals bei uns noch in Schwarz/Weiß – und blicke Herrn Prof. Dr. Heinz Haber in die Augen. Der erste Teil seiner 12-teiligen Sendung „Stirbt unser blauer Planet“ läuft seit 5 Minuten. In anschaulicher und nachvollziehbarer Weise wird er in den verbleibenden 40 Minuten versuchen, „Das ungelöste Problem“ zu vermitteln. Damals ging mir alles viel zu schnell, dieser und auch die nachfolgenden Teile. Auch heute noch geht mir alles viel zu schnell: Zeit zum Nachdenken will sich niemand mehr nehmen. Ein gedankenloses Leben ist angesagt und das Verschleppen längst begründeter Problematiken in die möglichst ferne Zukunft. Und das Verdrängen des ungelösten Problems von 1974: Die Zukunftsfähigkeit der Menschheit als Erdbewohner.

Das ist aber wieder zu abstrakt. Kommen wir deshalb auf das beschauliche Deutschland zurück. Deutschland ist nicht in der Lage, den Konsum seiner Einwohner ohne die Hilfe anderer Länder ökologisch und ökonomisch zu befriedigen. Zuviel Einwohner, zu kleines Land, zu große Ansprüche? Eine Mischung aus Vielem, vielleicht. Nehmen wir eine einzelne Person dieses Landes als Einzelperson mit einer Einzelstimme. Wie mag sich diese Person fühlen, wenn sie über die Situation nachdenkt? Wie mag sie handeln? „Ich muss meinen Konsum beschränken“, lautet dann vielleicht der Vorsatz. Beim nächsten Einkauf im Lebensmittelladen, wägt sie dann zwischen Weintrauben aus Peru oder Argentinien ab, bewertet deren Ökobilanz und nimmt dann der neuen Vernunft folgend keine. Weil Winter ist, gibt es schließlich keine heimischen Weintrauben, deshalb musste sie sich bereits für israelische Erdbeeren entscheiden. Kurz bevor sie weitergeht, nimmt sie dann doch noch die peruanischen Trauben und gegen die Logik dieser Entscheidung ist nicht grundlegend etwas einzuwenden. „Der Laden verkauft, was er hat. Wenn ich sie nicht kaufe, kauft sie jemand anders. Im schlimmsten Fall keiner, dann werden sie weggeworfen. Wer hat dann etwas davon?“ Und schon wird klar, dass das mit dem Einschränken des Konsums nicht so einfach ist. Im Grunde ist es wie beim Abnehmen: Abnehmen erfordert einen eisernen Willen, Disziplin, Durchhaltevermögen, Geduld, Ausdauer, Entbehrungen, Verzicht, Planungen und nicht zuletzt Wissen. Langfristiges Abnehmen gelingt nur den Wenigsten. Die Verführungen und Ablenkungen vom Ziel sind im Alltag einfach zu aufdringlich, um sie dauerhaft ignorieren und umgehen zu können. Wachstum ist eine der grundlegenden Logiken unserer Gesellschaft. Kein Wachstum bedeudet Stillstand und der kostet Arbeitsplätze. Unser Wirtschaftssystem setzt Konsum voraus und eine gigantische Werbeindustrie feuert uns mit einem sagenhaften Jahresetat von 23 Mrd. Euro an, permanent unnötige Dinge zu kaufen. Die Großeltern der Eltern unserer Einzelperson verfügten noch über einen Haushalt mit etwa 180 Gegenständen, von denen jeder einzelne seinen Sinn, seine Bedeutung und damit Notwendigkeit besaß. Der Haushalt unserer Einzelperson besteht durchschnittlich aus 10000 Gegenständen, von denen die überwiegende Mehrheit bedeutungslos und überflüssig ist. Konsum ist zur Bürgerpflicht geworden und eine gesellschaftliche Verantwortung jeder Einzelperson. Das mögliche Einschränken der Befriedigung von Pseudobedürfnissen oder gar das Leben im Minimalismus ist deshalb eine Konsumillusion.

Unsere Einzelperson kann sich dennoch bemühen, das Wachstum ihres ökologischen Fußabdrucks zu verlangsamen. Sie kann bewußter mit Ressourcen umgehen, ihren Energieverbrauch nachhaltiger transformieren und nicht alles kaufen, was es zu kaufen gibt. Das erfordert Arbeit, Mühen, Kosten – und Verzicht. Mit Blick auf die Zukunft mag das der Einzelperson das Gewissen verbessern. Sie muss sich aber im klaren darüber sein, dass nicht jede Person ein schlechtes Gewissen für ihren Fußabdruck hat. Nach dem aktuellen Oxfam-Bericht tragen wohlhabende Menschen überproportional zur Erderwärmung bei. In Deutschland verbrauchen sie etwa 15-mal mehr CO2 als ärmere Menschen. Da unsere Einzelperson repräsentativ ist, gibt es in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft mindestens eine Person, die den möglichen Effekt ihrer Einsparungsbemühungen um ein Vielfaches zunichte macht und dabei wahrscheinlich glücklicher ist als unsere Einzelperson, denn gesellschaftlich erfolgreiche Menschen verfügen in aller Regel über einen unerschütterlichen Egoismus.

Schon die alten Griechen haben sich gefragt, was uns im Leben antreibt und was ein Leben lebenswert macht. Mehrere 1000 Jahre lang hat man geglaubt, dass es Werte wie Moral, Sinn und Glück sind. Jüngere Forschungen der Psychologie legen aber nahe, dass dies nur Sekundärwerte sind, die sich von einem grundlegenden Lebenswunsch ableiten. Der Mensch hat demnach den inneren, drängenden Wunsch, Ursache von etwas zu sein. Der Mensch will wirken und dadurch verändern. Die Psychologen nennen das die Selbstwirksamkeit des Menschen. Sie geht einher mit einem ausgeprägtem ICH. Der daraus resultierende Eigennutz erscheint zunächst verwerflich, dient aber letztlich dem Allgemeinwohl: Das Motto „Hol das Beste für dich raus“ befeuert den Ansporn für Wettbewerb und Konkurrenz. Unsere Wirtschaftssysteme sind am Egoismus ausgerichtet. Konsum schafft Sinn, mit ihm kann man wirken und ist Teil des persönlichen Glücks. Konsum befriedigt somit mehrere Urbedürfnisse des Menschen, weshalb man sich ihm nur bedingt entziehen kann. Konsum wird so zur Sucht, die das Gehirn mit einem Belohnungssystem unterstützt: Glückshormone für den Sieg (z.B. Dopamin)!

Ein Energieunternehmen wird der Einzelperson nie empfehlen, weniger Energie zu verbrauchen als bisher. Es tut das Gegenteil: es bewirbt und motiviert sie, mehr Energie zu verbrauchen. Ein Energieunternehmen ist eben Teil eines erfolgreichen Wirtschaftssystems. Der Energieverbrauch wächst in Deutschland (und der Welt) deshalb nicht linear, sondern exponentiell – mathematisch betrachtet ist das die schnellste Wachstumsform überhaupt. Natürlich transformiert sich auch ein Energieunternehmen und wirbt mit seiner immer grüner werdenden Energie. Aber grüne Energie verbessert unsere Situation nicht, die mit ihr verbreiteten Euphorien sind wiederum nur ein Ergebnis der Werbeindustrie und der Politik. Jeder Verbrauch von Energie erzeugt Wärme. Ein Kühlschrank produziert mehr Wärme als Kälte, egal ob die dabei eingesetzte Energie grün oder fossil basiert ist. Deshalb bleibt auch bei grüner Energie die Wärmezunahme exponentiell. Weil die Energie selbst jedoch nicht fossil basiert ist, entsteht allenfalls ein klitzekleiner Zeitgewinn.

Die Zurückführung des menschlichen Handelns auf seinen verursachten ökologischen Fußabdruck stellt zwar ein Maß für die erschreckende Überforderung der Umwelt zur Verfügung, ist aber für eine Einzelperson abstrakt und unnahbar. Zudem berücksichtigt es zwar die Produktion von Konsumgütern, nicht aber die damit verbundenen Auswirkungen. Diese wiederum wären auch für eine Einzelperson konkret und spürbar – das aber ist nicht im Sinn der Wirtschaft und deshalb bislang nicht Teil einer öffentlichen Besorgnis. So verliert Deutschland laut des dritten (aktuellen) Klima-Monitoringberichts der Bundesregierung seit 2000 jährlich etwa 2,5 Kubikkilometer Wasser und gehört damit zu den Regionen mit dem höchsten Wasserverlust weltweit. Und das, obwohl wir aktuell lediglich eine zusätzliche mittlere Erwärmung von 0,6 Grad in Deutschland messen. Das verlorene Wasser wird nicht durch die jährliche Niederschlagsmenge ersetzt und ist somit dem möglichen Wasserverbrauch endgültig entzogen. Wenn ich mich nicht verrechnet habe, entspricht das dem ungefähren Jahresverbrauch von 5 Millionen Menschen (etwa Berlin und Hamburg zusammen). Wenn man jährlich nicht 5 Millionen Menschen verdursten lassen möchte, muss man die verlorene Wassermenge aus Vorräten zur Verfügung stellen (z.B. Grundwasser und Flüsse) oder anderen Verbrauchern entziehen (Industrie, Landwirtschaft, Bewässerung). Es leuchtet ein, dass das nur begrenzt lange möglich ist, immer aber weitere Schäden nach sich zieht. In einem Wohlstandsland wie Deutschland soll sich natürlich niemand Gedanken über Trinkwasser machen müssen, das ist schließlich ein Thema der Entwicklungsländer. Aber früher oder später wird auch die Einzelperson von Trinkwassermangel in Deutschland akut betroffen sein.

Die Situation unserer Einzelperson erscheint deshalb ziemlich eingeschränkt. Sie ist umgeben von Herausforderungen, die ihr Handeln erfordern, denen sie aber nicht wirklich begegnen kann. Im Grunde genommen ist sie nur innerhalb einer Generation im eigenen Land verfremdet. Um ihre Lage zu verbessern, müsste sie innerhalb kurzer Zeit vielfältige Transformationen durchlaufen, um sich fundamental und dauerhaft einer neuen Zeit anzupassen – was natürlich nicht möglich ist. Hier ein paar Beispiele:

  • Selbsttransformation, um die eigene Idendität zurückzufinden und anzupassen
  • Soziale Transformation, um sozial gerecht und fair miteinander umzugehen. Migration und Heimatverlust – auch innerhalb des eigenen Landes von Landsleuten – wird ein großes Thema werden.
  • Gesellschaftliche Transformation, um ein gemeinschaftliches Wir-Gefühl und Handeln zu erreichen
  • Politische Transformation, um die Zukunft demokratisch zu entscheiden und gestalten
  • Sprachliche Transformation, um die Sprache zu demokratisieren. Die jährlichen Dudenerweiterungen machen die Kluft zwischen nur einer einzigen Generation deutlich
  • Informationstransformation. Als Folge des Pluralismus wird nichts für so „wahr“ gehalten wie Zahlen, Statistiken, Posts, Fakenews. Wir müssen lernen, über Information zu reflektieren und ihre Bedeutung zu bewerten.
  • Konsumtransformation
  • Energietransformation
  • Klimatransformation

Jede einzelne dieser Transformationen ist bereits eine Lebensaufgabe. Die Lebensumstände der Einzelperson haben sich in zu kurzer Zeit zu grundlegend geändert. Der Anschluß an die Zeit ist schlichtweg verpasst. Die Folge ist ein Klammern an Bestehendem und ein Radikalisieren von Veränderungen. Und natürlich das Trostfinden in Gewohntem, verbunden mit dem Verlust der Identität. Die gefühlte Ohnmacht gegenüber der Zeit und ihrer Veränderung macht sich in unserer Einzelperson breit: ihre Bemühungen sind in der globalen Welt nicht wahrnehmbar. Das ist so, als wolle man durch das Einfangen einer einzelnen Mücke die weltweite Anzahl der Mücken langfristig reduzieren. Nein, globale Probleme erfordern globale Lösungen. Saubere Luft nur für Deutschland gibt es nicht…


Da langweilt sich irgendein Präsident und bekommt Lust auf eine „Spezialoperation“. Innerhalb von 6 Monaten wird dabei ein geschätztes Äquivalent eines Fußabdrucks von sage und schreibe 150 Millionen Tonnen CO2 erzeugt. Ein anderer Präsident findet das toll und beginnt seinerseits einen Krieg, um dem nicht nachzustehen und die derzeitige Verwirrung auszunutzen. Und ich sitze zuhause und überlege, ob ich das Licht schon anmachen soll oder lieber noch ein bisschen warten, um Strom zu sparen…

Also, seh dir das Bild noch einmal an und frage dich erneut: bleiben, wo du bist oder mühevoll einen dieser Wege gehen und demnächst wiederkommen?