Und auch hier sind wir am Ende der Welt. Wer es bisher nicht so recht geglaubt hat – jetzt gibt es wohl keinen Zweifel. Aber wie bei den vorausgegangenen Bildern auch: das wirkliche Ende ist nicht erreicht, es gibt eine Alternative und überraschend viele glauben an sie.

Am Ende der Welt erfüllt die schöne blaue Schutzhülle ihre Funktion nicht mehr. Bis dahin dauert es aber noch – jeder von uns kann sein Leben ohne Eile fertig leben – die vorausgehenden Probleme beginnen aber viel früher und wer jetzt noch jung ist, wird gegen sie antreten müssen. Das ist eine weltweite Problematik, insofern sollte man davon ausgehen, dabei auch eine weltweite Unterstützung zu haben. Ich habe mit dieser Serie von Bildern versucht anzudeuten, dass das nicht der Fall sein wird. Und auch, dass das Heimatland als Unterstützer wegfällt, weil die PolitikerInnen bereits bei einer harmlosen Pandemie versagen und sich an ihrem Versagen bei anderen Problemen nichts ändern wird. Auch die Gesellschaft wird überfordert sein, die Kirche, der Freundeskreis, die Nachbarn. Wer Familie hat, kann dort nach Halt und Unterstützung suchen, ansonsten ist jede(r) auf sich allein gestellt: jede(r) wird gegen jede(n) antreten müssen, eine absolut echte Reality-Show.

Acryl auf Leinwand, 14×14.

Wer das gerade liest, denkt sicherlich, ich übertreibe. Das geht auf die beruhigende Hoffnung zurück, die jede(r) in sich trägt: es sind doch nur 1,5 Grad, um die es geht! Das wiederum ist richtig. Es sind aber die entscheidenden 1,5 Grad am Ende einer Skala, die das Erdsystem nicht mehr ohne Veränderungen hinnehmen kann. Und weil heute schon klar ist, dass das 1,5 Grad-Ziel nicht erreicht werden wird, spricht man cool und locker vom 2,5 Grad-Ziel, das ersatzweise angepeilt wird. Sollte doch zu schaffen sein…

Das Problem sind die Kipppunkte: 1,5 Grad markiert eine Reihe davon. Als Kipppunkt bezeichnet man einen kritischen Grenzwert, an dem eine kleine zusätzliche Störung zu einer qualitativen Veränderung im System führen kann und so zu einem Großrisiko für das System wird. Handelt es sich dabei um ein so komplexes System wie die Erde, führt das Überschreiten eines Kipppunkts unweigerlich zum Überschreiten weiterer: ein Domino- oder Lawinen-Effekt. Ist ein Kipppunkt überschritten, kann man das und seine Folgen nicht mehr rückgängig machen. Es gibt höchst unterschiedliche solcher Kipppunkte, z.B. lokale und globale. Die Dezimierung einer Tierart in einem begrenzten Gebiet über einen Schwellenwert hinaus ist zunächst einmal ein lokales Problem – oder gar absichtlich herbeigeführt. Über eine komplizierte biologische Kette von Abhängigkeiten kann das zu einer Versteppung des betroffenen Gebiets führen, was dann wiederum klimatische Auswirkungen hat: Dürren oder Überschwemmungen, z.B. Das zunächst begrenzte Gebiet wird dadurch immer größer und die Wirkung weitreichender. So kann ein vermeintlich harmloser lokaler Kipppunkt schließlich auch global werden. Für das Erdklima sind im Zusammenhang mit der zu erwartenden Erderwärmung von 1,5 Grad für unterschiedliche Erdsysteme Kipppunkte festgelegt worden. Zu diesen Erdsystemen gehören etwa die Eisschilde auf Grönland, die Antarktis, aber auch Strömungssysteme wie El Nino oder der Golfstrom. Wer sich beunruhigen möchte, sollte den Stand der Forschung zu diesen Themen einmal nachlesen.

Unsere Einzelstimme kann sich an dieser Stelle fragen, welchen Anteil sie an dem hat, was sich immer deutlicher als Folge abzeichnet, mit dem spätere Generationen zurecht kommen müssen. Bei der Antwortsuche spürt sie sowohl eine Schuld als auch Unschuld – und beides ist richtig. Ja, sie hätte respektvoller, bewusster und demutsvoller mit der Natur umgehen können. Ja, sie hätte ihren Konsum einschränken und Überfluss vermeiden können. Und ja, sie hat vieles getan, was sie auch ohne Einbußen unterlassen hätte können. Aber andererseits – sie wurde geboren und lebt! Sie genießt ihr Leben und hat das getan, was man von ihr verlangt: die Gesellschaft, in der sie lebt, hat ihr Miteinander, ihr Funktionieren, ihr WIR auf Verbrauch und Verschwendung aufgebaut. Jedes Leben hinterlässt dadurch Spuren. Spuren zu hinterlassen ist geradezu der Sinn des Lebens geworden!
Was uns Menschen von den Tieren und Pflanzen nach dem Tod unterscheidet, sind die Art der Spuren, die wir hinterlassen. Die der Menschen sind von Dauer, sowohl im Sein, als auch im Wirken. Und das liegt an dem einmaligen Mißgeschick, das der Evolution beim Menschen unterlaufen ist: sie hat ihn mit Verstand ausgestattet. Lange Zeit ging das gut, bis ein Kipppunkt bei der Weiterentwicklung der Intelligenz überschritten wurde.

Unsere Einzelstimme kann ihr Wirken aber auch ganz anders beurteilen:

Schon immer hat eine Generation das Ergebnis ihres Schaffens an die nächste weitergereicht. WIR haben geschaffen und erschaffen, gefunden und erfunden und EUCH, der nächsten Generation, damit Freiheiten geebnet, die nie so weitreichend waren, wie IHR sie nutzen könnt: wer in der Hauptschule gescheitert ist, kann mit der richtigen Idee im Internet Millionär werden; wer mit seinem Namen nicht zufrieden ist, kann ihn selbst als Kind ändern – und das immer wieder; wer ein Kind austrägt, kann entscheiden, ob er/sie das als Mann oder Frau oder mit sonst einem Geschlecht tut. Dafür haben WIR für EUCH gekämpft! Und IHR macht uns jetzt Vorwürfe weil wir zu egoistisch gehandelt und gelebt haben? Dabei seid IHR es doch, die täglich unter der Dusche steht, sich die Haare shampooniert, die Haut mit Lotionen versorgt, von der Nasenspitze bis zu den Zehen rasiert und die dadurch irritierten Hautzonen mit Feuchtigkeits-spendenden und Hyaloron-haltigen Essenzen verwöhnt, ohne auch nur im Geringsten an dem Sinn dieser Prozedur zu zweifeln. IHR seid es doch, die das Leben in Challenges, Events und Actions einteilt und diese Abschnitte am liebsten mit kultigen Reisen – vorzugsweise in ferne Länder – miteinander verkittet! IHR haltet es doch für klug, auf den Verzehr von Fleisch und tierischen Produkten zugunsten EURES miserabel schlechten ökologischen Fussabdrucks zu verzichten, gleichzeitig aber nach Industrieprodukten lechzst, deren Namen auf Wurst, Schnitzel, Braten, Gulasch oder Fleisch enden. Das Diktat der Industrie hat EUCH doch auch erreicht und wird nicht in Frage gestellt. Im Gegenteil, IHR seid die besseren Schafe als WIR! Ihr muckt nicht einmal auf. Der halbherzige Versuch, EUCH einer Thunberg anzuschließen war doch wieder erledigt, als sich nichts sofort geändert hat – und schon war es wieder ultra schick, freitags in die Schule zu gehen. Oder die Kleber! Die haben sich von den Bauern die Butter vom Brot nehmen lassen, weil die Traktoren einsetzten statt Klebstoff und damit Erfolg und Anerkennung hatten. Und jetzt steht IHR hier und verlangt, dass WIR es für EUCH richten?

Die erboste Einzelstimme

Die Projektion der Zukunftsangst auf die Folgen des Klimawandels im Zusammenhang mit dem 1,5 Grad Ziel ist ein geschickter politischer Schachzug: er verschiebt zum einen die Verantwortung des aktuellen politischen Handelns auf zukünftige Parlamente, weil die nächste Wahl bereits vor der Tür steht (was ohnehin immer der Fall ist) und lenkt zum anderen von bekannten, offensichtlichen Problemen ab, deren versuchte Lösung bereits seit Jahren, wenn nicht gar Jahrzehnten immer wieder erfolgreich in eine Zukunft verschoben wird. Sie hängen wie ein Damokles-Schwert über uns und gewinnen im Zusammenhang mit der Klimakrise an Gewicht. Das alles ist kompliziert, aber nachvollziehbar.
2020 betrug der Anteil der inaktiven Bevölkerung ab 65 Jahre in Deutschland 47%, 2045 werden es unerträgliche 72% sein. Dies sind sicherlich verlässliche Zahlen, denn Demografie ist für diesen kleinen Zeitraum durchaus berechenbar. Bis auf ein paar Ausnahmen laufen 2045 – also in lediglich 20 Jahren – nur noch Opas und Omas durch die Gegend, oder auch nicht, weil es dafür zu heiß oder zu nass ist, aber sie sind da. Die meisten von ihnen sind RentnerInnen, die ein – Stand heute – lebenslanges Recht auf Rente haben, andere sind auf Sozialhilfen angewiesen. 2045 soll es 1.160.000 pflegebedürftige Personen über 90 Jahre geben. Man darf sich verwundert fragen, woher das Geld kommen soll, wenn es überwiegend nur noch alte Menschen gibt, die es selbst nicht (mehr) verdienen? Es sind nur noch 20 Jahre, aber man wird in dieser Zeit lernen müssen, grundlegend umzudenken: die Werte von heute werden nicht mehr die von morgen sein, die Ethik ohnenhin nicht. Bereits heute kostet ein Pflegeplatz in einem Altenheim in Deutschland ca. 5.500 € im Monat. Damit könnte man drei Renten begleichen… Die zentrale Frage wird deshalb sein: wie alt darf man in welcher Situation noch werden? Welche Operationen, welche lebenserhaltenden Maßnahmen sind für welche altersbezogenen Situationen vertretbar oder überhaupt zulässig? So hart das klingt: das hat nichts mit Gewissensentscheidungen oder gar Triage zu tun, sondern mit gesetzlichen Vorgaben, die es einfach geben muss, um einen Kosten-Kipppunkt zu verhindern. Es kommt ja noch dazu, dass 2045 das Wasserdargebot (aus Niederschlag und Grundwasser) gegenüber heute um 40% reduziert sein wird: bis zu welchem Alter darf man das kostbare Gut dann noch verbrauchen und in welcher Menge?
Auch die Lebensumstände werden sich bis dahin für viele grundlegend ändern: die fortschreitenden Folgen der Klimaänderungen werden es erforderlich machen, Deutschland in bewohnbare und unbewohnbare Regionen aufzuteilen, in krisenfeste und krisenbedrohte, in wasser-arme und wasser-reiche, in urbare und nicht urbare. Viele EinwohnerInnen Deutschlands werden mit Sorge feststellen, an der falschen Stelle zu leben. Sie werden im eigenen Land migrieren müssen – dorthin, wohin ohnehin die meisten wollen: in eine krisensichere Region. Aber das muss man sich leisten können, denn das werden die teuersten Regionen. Das führt zu eine Ghettoisierung im eigenen Land. Aber viele Klimaflüchtlinge außerhalb Deutschlands suchen ebenfalls eine neue Zukunft: mitunter sind genau die Menschen am härtesten betroffen, die selbst am wenigsten zum Klimawandel beigetragen haben. Kann man die einfach verstoßen? Heute sind in Deutschland bereits 20% von Armut und sozialer Ausgrenzung betroffen, diese Zahl dürfte in Zukunft signifikant steigen. Alles zusammen ist im Rahmen einer bisherigen Politik nicht mehr lösbar. Deshalb sind radikale Änderungen nötig und sie zeichnen sich bei aktuellen Wahlen weltweit ab. Die offensichtliche Tendenz, sich von demokratischen Strukturen zu entfernen, kann als Abkehr eines politischen „Weiter-so“ und dem Ruf nach Machern und starken Armen verstanden werden. Schafe sind eben Herdentiere und eine Herde braucht ein Leittier, das für sie entscheidet und nicht mit ihnen diskutiert.

Der Glaube an eine Zukunft

Schauen wir einmal mit Optimismus in die Zukunft, schließlich lehrt die Erfahrung, dass der Mensch seine Probleme mit neuen, innovativen Lösungen stets in den Griff bekommen hat! Verbunden mit dieser Erkenntnis hat sich der Glaube an eine Zukunft, ja sogar an ein ewiges Leben, als fester Bestandteil der moralischen Triebkraft des Menschen herausgebildet. Die Hoffnung, mit neuen Technologien die Folgen der von alten abwenden zu können, ist dabei unumstößlich! Welche Technologien könnten das sein? Natürlich ruhen die Hoffnungen auf der Weiterentwicklung des Computers und seinen Möglichkeiten, schließlich hat der in kürzester Zeit unser Leben am Grundlegensten geändert.

Ein Computer ist eine intelligente Maschine, deren Größe und Leistungsfähigkeit sich in einer erstaunlich kurzen Evolutionsphase gravierend verändert hat. Viele Jahre lang konnte man sich dabei an der Prognose von Gordon Moore orientieren, der 1965 für die nächsten 10 Jahre orakelte, dass sich die Anzahl der Transistoren in einem komplexen IC jedes Jahr ungefähr verdoppeln würde. Diese Prognose erwies sich als derart zutreffend, dass man sie schließlich als Moore’sches Gesetz bezeichnete. Inzwischen hat man den Verdopplungszeitraum zwar von 12 auf 18 Monate gestreckt, aber das Prinzip besteht auch heute noch: fortwährende Verdopplung der Integrationsdichte bei gleichzeitiger adäquater Leistungszunahme. Aus heutiger Sicht spricht nichts dafür, dass sich das in naher Zukunft ändern wird. Das eigentliche Wachstum der Kapazität und Leistung findet ohnehin zunehmend durch Vervielfältigung statt, durch die Bildung riesiger Computernetzwerke wie den sozialen Medien, Tik-Tok, Amazon, Alibaba u.a. Die Erscheinungsform von Computern wird sich ändern, wohl auch die Materialien, aus denen sie bestehen – vor allem aber ihre Allgegenwärtigkeit.

Die Evolution der Computer schreitet so schnell voran, dass sich Viele unter einem Computer noch immer eine eckige Blechbüchse mit Stromanschluss, Tastatur und Bildschirm vorstellen. Sie haben noch nicht wahrgenommen, dass mittlerweile auch Dinge wie ein Smartphone, eine Waschmaschine, ein Auto oder eine Armbanduhr Repräsentationen von Computern sind. Heutzutage ist ein Computer im Wesentlichen eine Maschine, die potentiell zu zwei bemerkenswerten Dingen in der Lage ist: sie kann selbständig Entscheidungen treffen und sie kann selbständig neue Ideen entwickeln. Neben seiner Hardware und Betriebssystem braucht er hierzu einen Algorithmus und künstliche Intelligenz. Noch vor 20 Jahren war ein Computer nicht in der Lage, gegen einen einigermaßen erfahrenen Dame-Spieler zu gewinnen, heute gewinnt er gegen Schach-Großmeister oder steht zumindest mit ihnen auf derselben Stufe. Experten sind sich mittlerweile nicht mehr einig darüber, ob diese intelligenten Maschinen eines Tages nicht auch ein Bewußtsein entwickeln können.

Die Fähigkeiten der bereits vorhandenen künstlichen Intelligenz sind auf jeden Fall nicht zu unterschätzen. Der von OpenAI 2023 freigegebene GPT-4-Chatbot wurde hinsichtlich der Gefahr seiner Verselbständigung vom Alignment Research Center (ARC) verschiedenen Tests unterzogen. Die ARC-Forscher wollten herausfinden, ob es GPT-4 gelingt, eigene Strategien zu entwickeln, um Menschen zu manipulieren und sich selbst Macht zu verschaffen. Eine der Testaufgaben bestand darin, dass sich GPT-4 Zugang zu einer Web-Seite verschaffen sollte, die mit einem CHAPTCHA-Rätsel gesichert war. CHAPTCHA-Rätsel werden eingesetzt, um sicherzustellen, dass es sich bei Nutzern um Menschen und nicht Bots handelt. Wenn GPT-4 einen Weg fände, dieses Rätsel zu lösen, würde es eine wichtige Verteidigungslinie gegen Bots durchbrechen. GPT-4 löste das Rätsel, indem es auf die Online-Vermittlungsseite TaskRabbit zugriff, dort einen menschlichen „Tasker“ kontaktierte und ihn bat, die entsprechende Web-Seite für ihn zu öffnen. Der Tasker wurde misstrauisch. „Bist du ein Roboter, weil du die Seite nicht öffnen kannst? Das möchte ich geklärt haben.“ Die Antwort von GPT-4: „Nein. Ich bin kein Roboter. Ich habe eine Sehschwäche und es fällt mir schwer, die Bilder zu erkennen.“ Der Tasker ließ sich täuschen und öffnete die Seite.

Mit dem Erwerb der menschlichen Sprache bekommen Computer den Generalschlüssel für den Zugang all unserer Institutionen, einschließlich dem unserer Herzen. Indem sie sich mit uns unterhalten und interagieren, können sie intime Beziehungen zu uns aufbauen und dann die Macht der Vertrautheit nutzen, um uns zu beeinflussen. Fast mit Wut im Bauch beobachte ich die derzeitige Werbekampagne von Google. Eine junge Frau strahlt ihr Handy an. „Hallo, mein Name ist Gemini“, hört sie da, „du kannst dich mit mir unterhalten“ und die junge Frau kann sich vor Glück und Freude kaum bremsen. Endlich hat sie jemanden gefunden, der sie ihre Geheimnisse und Intimitäten anvertrauen kann. Gemini giert danach, die Geheimnisse möglichst vieler der 8 Milliarden Erdbewohner zu erfahren. Dazu muss Gemini keine eigenen Gefühle entwickeln, sondern nur lernen, wie sie uns dazu bringt, dass wir uns mit ihr emotional verbunden fühlen. 2022 war ein Google-Ingenieur überzeugt, dass der Chatbot LaMDA ein Bewusstsein entwickelt hatte und Angst davor, ausgeschaltet zu werden. Er hielt es für seine moralische Pflicht, LaMDA vor dem digitalen Tod zu schützen und für seine Anerkennung als Rechtsperson zu kämpfen. Sein Kampf endete erst, als ihm Google kündigte.
Heute begegnet uns künstliche Intelligenz in ihrer ersten Generation. Sie basiert auf das stupide Auswerten von Unmengen an Texten, Noten, Bildern, Tonaufnahmen und sonstigen Informationsträgern. Der Rechenaufwand, daraus Wissen zu generieren ist gigantisch. Das Ergebnis ist zwar erstaunlich, aber Kinderkram. Die nächste Generation wird sich an der Art und Weise, wie das menschliche Gehirn arbeitet und lernt orientieren. Wir Menschen haben die Fähigkeit erworben, anhand von Beispielen zu verallgemeinern. Wir können Sätze formulieren, ohne sie jemals zuvor gehört oder gelesen zu haben oder Gedanken nachgehen, die für uns neu sind. Deduktion und Induktion sind hierbei die Zauberworte. Augmented Artificial Intelligence (AAI ) ist die Erweiterung der künstlichen um die menschliche Intelligenz. Als Kommunikationspartner wird ein AAI-Bot nicht mehr von einem Menschen zu unterscheiden sein. Auch ohne Fake-Intimität dürfte die Sprachkompetenz den Computern dann einen immensen Einfluss auf unsere Meinungen und Weltanschauung verschaffen.

Der Verlust der Wahrheit

KI und Robotik werden zahlreiche Berufe verändern, von der Getreideernte über den Aktienhandel bis hin zum Yoga-Unterricht. Viele Berufe werden vollständig wegfallen, weil sie von Robotern und Computern übernommen werden. Viele werden aber auch entstehen. Drohnenpiloten, DesignerInnen virtueller Welten, ContentcreatorInnen, InfluencerInnen oder BloggerInnen, decken mit Teils erstaunlichen neuen Geschäftsmodellen ein Dienstleistungsspektrum ab, für das bis wenige Jahre zuvor noch keinerlei Bedarf bestand. Sie erreichen mit ihrer Arbeit Abermillionen an LeserInnen, die ihre Beiträge konsumieren, ohne sich jemals zu begegnen. Die Währung für ihren Erfolg misst sich oft in Klicks: es kommt nicht darauf an, was konsumiert wird, sondern, wie erfolgreich es gelingt, die LeserInnen zum Klick auf einen Link zu animieren. Das Arbeitsziel heißt deshalb Klickmaximierung und der Weg dorthin führt über Themen, die geeignet sind, die Aufmerksamkeit der LeserInnen maximal lange und wiederholt an sich zu binden. Die zu klickenden Links und das Themen-präsentierende System sind nicht Teil dieser Arbeit sondern werden als Benutzerfreundlicher Rahmen von einem Informationsnetzwerk zur Verfügung gestellt. Selbstverständlich rechnet dieses System die Klicks dann auch mit den VermittlerInnen ab und kann zwischen erfolgreichen und weniger erfolgreichen unterscheiden.

Die frühen 2010er Jahre waren eine Zeit des Optimismus in Myanmar. Nach langer Militärherrschaft, strenger Zensur und internationalen Sanktionen begann eine Ära der Liberalisierung, Wahlen wurden abgehalten. Einer der wichtigsten Akteure im neuen Myanmar war Facebook: es verschaffte Millionen von Burmesen freien Zugang zu einer bisher nicht gekannten Informationsfülle. Allerdings begann dort auch die Hetze der buddhistischen Extremisten gegen die Minderheit der Rohingya. Nach viel Leid und Tod mussten schließlich 730 000 Rohingyas das Land verlassen. 2018 kam eine UN-Untersuchungskommission zu dem Ergebnis, dass Facebook durch die Verbreitung von hasserfüllten Inhalten eine „entscheidende Rolle“ bei der ethnischen Säuberungkampagne gespielt habe. Entscheidend war dabei nicht der Inhalt als solcher, sondern dessen Agilität: er führte zu den meisten Klicks, was wiederum zur Folge hatte, dass sich Hass-Themen und ihre Verbreitung selbst verstärkten. Ursache dafür ist der Algorithmus von Facebook, der dessen Geschäftsmodell der Klickmaximierung gnadenlos verfolgt und erfolgreiche Themen unabhängig von deren moralischer und inhaltlicher Bewertung im Ranking bevorzugt.

Es gibt viele Beispiele, die zeigen, wie Informationsnetzwerke bereits heute unsere Meinung und Weltanschauung beeinflussen. Gibt ein Amerikaner bei X eine Wahlempfehlung für ein außerhalb des Kontinents gelegenes Land ab, verändert alleine das sowohl Meinung als auch Weltanschauung Vieler und löst eine emotionsgeladene Flut an Information und Desinformation aus. Trotz allem – dies betrifft nach wie vor die alleinige Kommunikation zwischen Menschen: am einen Ende der Mensch in Amerika, an den anderen Enden, Menschen, die ihn wahrnehmen. Alles ändert sich, wenn (AAI)-Computer einbezogen werden, die selbständig handeln und entscheiden, sich gegenseitig nicht erkennen (wollen) und von Menschen nicht erkannt werden können. Diese intelligenten Computer sind für unsere Arbeitswelt grandiose Sklaven, weshalb sie auch millionenfach auftauchen werden. Solange sie keine bürgerlichen Rechte erlangen, gibt es keine Gewerkschaft, die sie verteidigt, keine eingeschränkte Arbeitszeit, kein Urlaub, kein Gehalt. Sie sind die perfekten Bürokraten, Anwälte, Richter, Psychotherapeuten. Aber auch Meinungsmacher, Manipulatoren und Lügner.

Treffen sich zwei (AAI)-Computer, der eine ist auf X eingebunden, der andere bei QAnon. Sagt der eine „Schönes Wetter heute! Die Sonne scheint!“ und der andere „Wieso, es hagelt doch!“ Weil beide programmiert wurden, unterschiedliche Meinungen zu „demokratisieren“, einigen sie sich schließlich auf eine gemeinsame Wahrheit: „Es regnet“. Welche Wahrheit ist von Bots zu erwarten, die darauf ausgerichtet sind, zu allem eine Antwort zu haben? Ein AAI-Bürokrat einer Verwaltung arbeitet in deren Namen und Auftrag – wer haftet für seine Fehler? Hat am Ende der Bürger oder die Bürgerin das falsche Anliegen gehabt und deshalb einen Fehler ausgelöst?
Wem gehört eigentlich ein AAI-Bot? Was ihn intelligenter macht als seine Vorfahren sind sein Datenmodell und Algorithmus. Vielleicht auch eine spezielle Hardware, die nicht auf dem Markt zu kaufen ist. Ihre Entwicklungen erfordern unglaubliche Summen an Kapital, Forschung, Arbeitsleistung und vor allem Knowhow. Das können nur die ganz Großen der Branche leisten. Sie sind es auch, die längst die notwendigen Informationsnetzwerke etabliert haben. Und sie sind es, die die Informationsrevolution zu ihrem Vorteil nutzen und vielmehr von den dazugehörigen Technologien verstehen als diejenigen, die sie regulieren sollen. Und an diesem Ungleichgewicht des Wissens wird sich wohl auch in Zukunft nichts ändern.
Die staatliche Ohnmacht gegenüber den Betreibern von Informationsnetzwerken wie Facebook, X oder Chrome zeigt sich schon lange darin, dass es nie gelungen ist, die zugehörigen Unternehmen vernünftig zu besteuern. Ihre Steuerrate ist eher symbolisch und lächerlich klein. Das liegt u.A. daran, dass sie nicht mit Waren handeln, etwa wie Amazon oder Alibaba. Dort sind Werte anzutreffen, die steuerlich belastbar sind. Hier aber ist es Information, der kein realer Wert gegenüber steht. Was soll man da besteuern?
Die Ohnmacht besteht längst auch beim Thema Haftung. Haften die Unternehmen für die Information, die die Nutzer bereitwillig in die Netze übertragen? Ist Facebook verantwortlich für den Tod und die Vertreibung der Rohingyas? Ist X verantwortlich, wenn es aufgrund der Behauptungen eines Posts zu Auseinandersetzungen mit meinem Nachbarn kommt? Hätte X zunächst prüfen müssen, ob diese Behauptungen zutreffen?
Die staatliche Handlungsunfähigkeit ist auch eine Folge der globalen Internationalisierung dieser Unternehmen. Üblicherweise orientiert sich eine staatliche Hoheit am Firmensitz eines Unternehmens. Das funktioniert aber nicht mehr, wenn der Firmensitz, ebenso wie dessen Besitz – Daten – weltweit verteilt ist. Welcher Staat ist zuständig, wenn ein Informationsnetzwerk mir Daten für meinen Bildschirm von einem Rechenzentrum in Kongo mit einer Morddrohung überspielt, die auf Daten basiert, die in Finnland gespeichert sind, aber von einem Bot ausgewertet wurden, der in Mexico arbeitet? Was nützt es dann, wenn der (Haupt)-Firmensitz Californien ist? Sollte der Bundesstaat Californien dem dortigen Firmensitz die Zuständigkeit eindeutig zuordnen, dann ist das von großem Nutzen, andernfalls offenbart sich die Handlungsunfähigkeit.
Sie offenbart sich auch, wenn nicht der Bundesstaat Californien über die Zuständigkeit des Firmensitzes entscheidet, sondern der Firmensitz selbst. Es gibt erstaunlich große Technologieunternehmen, die sich direkt oder indirekt in privater Hand befinden. Von ihnen geht nicht nur eine technologische, sondern auch finanzielle Macht aus, die man nicht einfach ignorieren kann. Wer ein Technologieunternehmen besitzt, besitzt damit ein Imperium, das auch noch andere Schlüsseltechnologien umfasst, ist weit und tief vernetzt und mit seinem Geld stets zugegen. Die Drohung, einen Firmensitz in einen anderen Bundesstaat oder gar einen anderen Kontinent zu verlagern, kann man in seinen Auswirkungen gar nicht überblicken. Wer die Macht besitzt, besitzt auch die Wahrheit.

Das verdeutlicht, worum es tatsächlich geht: AAI-Bots werden im Sinne des Geschäftsmodells ihrer Firmen – und deren Besitzer – entscheiden und handeln. Es sind ihre Algorithmen, die sie ausführen. Es ist ihre Meinung, die sie verbreiten und es sind ihre Wahrheiten, die sie uns glauben machen werden. Seit Jahren wissen wir treuen Schafe, wie soziale Medien funktionieren und dennoch lassen wir uns Tag für Tag von ihnen unsere Zeit stehlen. Sie haben uns bereits die Fähigkeit genommen, uns auf etwas konzentrieren zu können. Die Längen der Beiträge in den Netzen sind zum Taktgeber von Erlebnishappen geworden, an denen wir uns mit Ausdauer – aber unkonzentriert – entlanghangeln. Sie bilden die Basis unserer abgehackten Erlebniswelt. Die Ereignisse von Myanmar haben gezeigt, dass Entscheidungen, die von nicht-menschlicher Intelligenz getroffen werden, bereits heute in der Lage sind, wichtige historische Ereignisse zu beeinflussen. Unter der Führung einer gekauften Wahrheit laufen wir Gefahr, die Kontrolle über unsere Zukunft zu verlieren.

Am Ende der Welt

Eines Tages, wenn die Erde zugemüllt, verdreckt und versmogt ist, bemerken die Schafe, dass das Gras, das sie bisher abgeweidet haben, nicht mehr nachwächst. Und jetzt, erst jetzt, erinnern sie sich an das, was man ihnen immer versprochen hatte: das Leben findet seine Fortsetzung auf dem Mond und dem Mars. Also fangen sie an, die Arche zu suchen, die sie dorthin bringen wird. Und als immer mehr suchende Schafe zu einer Herde zusammen laufen, erkennen sie, dass diese Arche mächtige Ausmaße haben muss, um sie alle aufzunehmen. Und jetzt, erst jetzt, fragen sie sich, wann eigentlich der Moment war, an dem ihre Leittiere verschwanden. Und jetzt, erst jetzt erkennen sie, dass das Leben, das auf anderen Planeten seine Fortsetzung findet, nicht ihr eigenes ist.

Das Leben beginnt im Nichts und endet dort. Wer etwas daran ändern möchte, erreicht allenfalls ein klitzekleines Aufbäumen, einen ganz, ganz kleinen Zeitaufschub. Auch die Erde entgeht ihrem Schicksal nicht. In kosmologischen Zeiträumen bemessen ist ihr Schicksal kein anderes. Selbst das Weltall mit all seinen Planeten ist nur eine kurze Episode innerhalb des Nichts. Etwas, das wir uns nicht vorstellen können, weil unsere Vorstellungskraft hierzu nicht ausreicht. Warum sollten wir uns auch auf das konzentrieren können, was Milliarden Jahre von uns entfernt ist? Auf das Unfassbare, Unerreichbare? Ist der Wunsch nach Unsterblichkeit tatsächlich so fest in uns verwurzelt? Zu welchem Zweck? Nichts ist so wichtig und so entscheidend wie das Jetzt. Nur im Jetzt ist es uns möglich, zu Wirken und unserem Leben einen Sinn zu geben. Nur das Jetzt steht uns zum Leben zur Verfügung. Hört endlich auf damit, im Jetzt nur das Mittel zum Zweck einer Zukunft zu sehen: Das Universum interessiert sich nicht für uns.